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Reality-TV und kein Ende?

“Jetzt sind wir mittendrin im Wirklichkeitswahnsinn der Privatsender.”

So heißt es zumindest in der aktuellen Ausgabe des Stern (06/2001). Nicht erst seit ich diesen Artikel von Michael Ebert gelesen habe, frage ich mich, ob wir Deutschen so viel Reality-TV noch vertragen können. Mit dem großen Bruder hat es angefangen und mit einem Dutzend weiterer Formate wird jetzt das deutsche Privatfernsehen überflutet. Als vor nicht ganz zwei Jahren die Diskussionen kein Ende nehmen wollten, dass Big Brother, ein Sendeformat von John de Mol, in Deutschland gezeigt werden sollte und durfte, verstand ich den Wirbel darum nicht. Hätte ich jedoch damals gewusst, wo es sein Ende nimmt, wäre ich schlichtweg gegen ein solches Format gewesen.

Wenn die erste Staffel von Big Brother den Teilnehmern noch einen gewissen, wenn auch sehr geringen Kultstatus verlieh, wollten die Bewohner des Big Brother-Containers sich nur mehr vor der Kamera profilieren, und es gab trotz unzähliger Beteuerungen, eigentlich keinen mehr, der sich so dem Fernsehpublikum präsentierte, wie er oder sie in Wirklichkeit waren. Die Bewohner des Big Brother-Containers haben entdeckt, was dazu gehört von den Fans draußen geliebt zu werden und spielen ihr Spiel. So gibt es jetzt nichts mehr, was die Teilnehmer von der Masse der Anderen abhebt, denn irgendwie übel auffallen tun sie alle. Wie der Stern Redakteur M. E. richtig anmerkt ist es heute möglich geworden, das Hinz und Kunz ins Fernsehen kommen und das auch wollen (vgl. ebd.). Der Wunsch ist nicht neu, aber die Art und Weise, wie es heute möglich gemacht wird, macht den Reiz bei der Sache kaputt. Zlatko the Brain fährt demnächst vielleicht zum Grandprix d’Eurovision und vertritt uns dort. Da frage ich mich, ob die Leute nicht damals bei Guildo Horn schon zu früh zu kritisieren begonnen haben, immerhin macht dieser noch Schlagermusik und denkt sich zumindest einen Teil seiner Texte selbst aus. Der arme Zlatko jedoch weiß doch eigentlich gar nicht so Recht, wie ihm geschieht.

Die Sender allerdings profitieren von diesem Format, denn Reality-TV ist günstig herzustellen und bringt mitunter mehr Quoten als eine eigenproduzierte Serie oder gar ein Spielfilm, was die Zuschauerzahlen beweisen. Big Brother schauen bisweilen an die 5 Millionen Bundesbürger (vgl. ebd.). Kurz nach Big Brother kamen Sendungen wie Expedition Robinson oder der Maulwurf. Beide hofften auf den fahrenden Zug aufspringen zu können, floppten aber hoffnunglos. Wenn die Sendeformate nicht auf eine Ausstrahlung bis zur letzten Folge konzipiert gewesen wären, dann hätte man sie meines Erachtens nach vorzeitig abgesetzt, da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Doch den Ideen sind keine Grenzen mehr gesetzt. Auch jedes noch so abgedroschene Format erhält einen Sendeplatz. So gibt es jetzt die Sendung Der Frisör, in welcher den Leuten vor laufender Kamera die Haare geschnitten werden. Die Frisöre und Friseusen in dem RTL-Salon muten ziemlich skuril an und entsprechen nicht dem Bild, welches ich von meinen Friseuren im Laufe der Jahre bekommen habe. Im House of Love darf sich ein Kandidat und im Umkehrschluss dann hinterher eine Kandidatin aus 5 Bewerbern oder Bewerberinnen seine Traumfrau oder seinen Traummann aussuchen. Ein bisschen exhibitionistisch müssen alle freilich schon sein, immerhin ist nackt baden und duschen vor der Kamera Pflicht. Ob die Fleischbeschau dann allerdings auch irgendwelchen Ansprüchen gerecht wird, bezweifle ich. In to club sollen die Kandidaten eine Fabrikhalle in eine laufende Disco umgestalten und den Betrieb wenn möglich auch aufrecht erhalten. Irgendwo wird dann immer irgendjemand rausgewählt und der letzte kriegt einen Batzen Geld.

Was aber im Fernsehen als Realität vermittelt werden soll, kommt im Traum nicht an die Realität heran. Stern-Redakteur Ebert kommt zu folgendem Urteil:

“Die Shows mit ihren in Regie-Räumen zurechtgeschnibbelten Wirklichkeiten sind so gefühlsecht wie Kondome aus Schmirgelpapier, die Wahrheiten der Kandidaten so banal wie Wasserstandsmeldungen. Die vermeintlichen sexuellen Sensationen finden nur unter der Bettdecke statt, die angeblich lebensnahe Realität wird immer irrealer.”

Wie viel von dieser Realität vertragen wir also noch? – Auffällig bei den ganzen Sendeformaten ist, dass die Kandidaten immer spezifischer, ihrer Zielgruppe entsprechend, ausgesucht werden. Wenn in der zweiten Staffel von Big Brother noch der Rocker Harry zu sehen war, denkt der Programmchef jetzt offensichtlich, ohne jemanden aus Harrys Generation auskommen zu können. Der Altersdurchschnitt von Staffel 2 zu Staffel 3 ist rapide gesunken. Selbst Nominator Christian ist an die 30 Jahre gewesen. Doch wenn ich an den Erfolg der ersten Staffel denke, frage ich mich, ob das der richtige Weg ist. Klar identifizieren sich die Jugendlichen eher mit Ihresgleichen, doch gehen dadurch nicht auch irgendwo die Typen verloren? Wenn man an die Beliebtesten Leute der ersten Big Brother-Staffel denkt, dann hätten die Kandidaten der dritten Staffel heute allesamt keine Chance mehr zu gewinnen.

Die Produzenten dieser Formate allerdings sind sich sicher, dass diese auf längere Zeit immer noch im Fernsehen zu sehen sein werden.

“Das wird dem deutschen Fernsehen bleiben wie die Talk- und Spielshows”,

meinte Rainer Laux, Produzent von Big Brother zu Ebert. Der Erfolg dieser Formate liegt wohl an dem Drang vieler Leute schnell berühmt und bekannt werden zu können. Big Brother Altstar Alex Jolig gereichte es ja sogar zu einem Techtelmechtel mit TV-Blondine Jenny Elvers, und das daraus hervorgehende Findelkind wird noch in 9 Monaten für einigen Wirbel sorgen. Aber nicht nur der Drang gesehen zu werden, ist es, der diese Sendungen so erfolgreich macht, nein, auch die Tatsache, dass es hier einige nackte Tatsachen zu erhaschen gibt. Diese beschränken sich aber oft (noch) auf einen blanken Po oder einen nackten Busen. Was unter der Bettdecke passiert kann man erahnen, nicht aber wissen. Ob echt oder gestellt, wird daher nie einer erfahren. Härtere Dinge sind außerdem in Deutschland (noch) nicht erlaubt. Ebert meint, dass die Sendeziele wohl auf öffentlichen Geschlechtsverkehr getrimmt sind, aber die Sender diesen – gesetzt den Fall er träte ein – gar nicht zeigen dürften. Es wird also viel versprochen und nichts gehalten. Das jedenfalls ist meine Meinung. Und wann wird endlich Schluss sein damit? Die nächste Big Brother Staffel ist schon in Planung und darüber hinaus noch einige neue Formate. Eine Sendereihe aus den USA Temptation Island wird als Insel der Versuchung wohl im Mai auf RTL2 gesendet werden. Manhunt oder Spacecommander sind ebenfalls geplant. Bei ersterem geht es um Menschenjagd auf einer Insel und bei letzterem um einen Big Brother Ableger im Weltraum. Ob und wie man dies realisieren möchte, dass bleibt für mich eine derzeit noch unbeantwortete Frage. Stern Redakteur Michael Ebert hat Recht, wenn er formuliert, dass der Irsinn offenbar keinen Sedeschluss haben wird. Er erinnert sich dabei an den Film The Truman Show von Regisseur Peter Weir, und für ihn ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann die lebenslange Überwachung eines Menschen per Kamera im Fernsehen gesendet werden wird. Bleibt lediglich zu hoffen, dass der Unsinn nicht mehr all zu skurile Formen annimmt, und im deutschen Fernsehen irgendwann wieder die Qualität vor der Quantität gehandelt werden wird.

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