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Eine runde Sache

Nicht unbedingt wegen des eierköpfigen Trägers, trägt der Artikel diese Überschrift, sondern wegen dessen umfassenden Ausarbeitung. Gotthold Ephraim Lessing – Gott hab ihn selig – wurde 1729 in Kamenz geboren und verschied im Februar 1781 in der Stadt Braunschweig, die noch heute Stolz auf das Ableben Lessings sein kann. In der Doppeldeutigkeit dieser Anmerkungen muss sich der Leser die eigene Wahrheit suchen; sinnvollerweise ist jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen. Die Meinung des Autors über Lessing ist keineswegs schlecht.

Lessing hat selbst nicht nur etliche Theaterstücke geschrieben, sondern sich auch in Schriften poetologisch geäußert. Einige seiner Ausführungen sollen im Folgenden beschrieben werden.

Brief an Nicolai

Eine erste Quelle Lessings (L.) poetologischer Aussagen stellt ein Brief an Nicolai vom 13. November 1756 dar. Mit ebendiesem führt Lessing einen intensiven Briefwechsel. Nicolai war selbst Schriftsteller und Verlagsbuchhändler. Als Vertreter der Aufklärung, liegt L. der Erkenntnisgewinn sehr am Herzen. Er interpretiert die aristotelischen Ausführungen neu. Seiner Zeit entsprechend und Gottsched übergehend, orientiert L. sich nicht an den französischen Dramen, sondern an den englischen.

L. antwortet Nicolai (N.) auf einen seiner Briefe. Er kommt nicht umhin, N.s Ausführungen zum Theater zu kritisieren. Dieser wollte offensichtlich den Zweck des Trauerspiels in einer Besserung (Läuterung) des Zuschauer erkennen, und ist dabei zu sehr vom aristotelischen Grundmuster abgewichen. L. verbindet nun die Positionen, ist er doch selbst auch der Auffassung, der Zuschauer sollte eine Besserung durchmachen. Zu diesem Zweck wandelt er den Begriff der Katharsis ab; er implementiert einen Zwischenschritt und richtet die Perspektive neu aus. Auf diese Weise beruft er sich auf Altbewährtes, fügt jedoch Neues bei. Und zwar sieht er die tragischen Leidenschaften als Mittel, zur Erreichung einer Besserung. Die Leidenschaften, allen voran Mitleid, verhelfen dem Zuschauer zur Einsicht. Aufgrund dieser Einsicht ist er sodann in der Lage, den sittlichen Entschluss zu fassen, den eigenen Willen zu verändern – eine Vernunfthandlung.

Die Affekten-Leiter

Da mittels der Affekte ein Erkenntnisgewinn zur moralischen Besserung erreicht werden soll, ist dies ein sehr zentraler Punkt in Lessings Ausführungen. Er erläutert N. sehr gewissenhaft, wie die aristotelischen Vorstellung von eleos und phobos als den tragischen Leidenschaften anders gedeutet werden muss. Während Mitleid das Zentrum eines Equilibriums bei Lessing bildet, ist Furcht, Schrecken, oder wie auch immer man phobos übersetzen mag, nur eine andere Ausdrucksform von Mitleid. Ähnlich verhält es sich mit Bewunderung. Mit diesen drei Begriffen “Schrecken, Mitleid, Bewunderung” sind nach Lessing in einem bildlichen Vergleich drei Sprossen einer Leiter bezeichnet. Er wählt diesen Vergleich, um N. sein Verständnis zu veranschaulichen.

“Das Schrecken braucht der Dichter zur Ankündigung des Mitleids, und Bewunderung gleichsam zum Ruhepunkt desselben.”

Für Lessing gibt es nur eine Bestimmung der Tragödie, sie soll die Fähigkeit des Zuschauers erweitern, Mitleid zu fühlen, denn das Mitleid sei der einzige Affekt, der den Menschen rege mache. Für die Ausgestaltung von Charakteren in der Tragödie erkennt L. darin eine Konsequenz. Um nämlich das Gleichgewicht zu halten, und vornehmlich Mitleid zu erregen und es nicht mit Bewunderung zu dämpfen, oder mit Schrecken ziellos einzuleiten,

“[…] müssen alle Personen, die man unglücklich werden läßt, gute Eigenschaften haben, folglich muß die beste Person auch die unglücklichste sein, und Verdienst und Unglück in beständigem Verhältnisse bleiben.”

Gleichwie hat dies keine Auswirkungen auf den Ausgang der Handlung. Hier lässt L. dem Dichter freie Hand. Er könne das Schicksal des Charakters wählen, wie es die Tragödie bedürfe. Das Prinzip der Komödie funktioniert analog zu demjenigen der Tragödie, nur mit dem Ziel, vermittels Lächerlichkeit, den Zuschauer auf eine ernsthafte Linie zu trimmen.

Vergnügen und Kritik

Neben den bereits angemerkten Differenzen oder der Uminterpretation von Aristotelischem, lässt Lessing N. wissen, dass die Tragödie und die Komödie das Vergnügen miteinander teilen. Ähnlich dreigeteilt, wie die Affekten-Leiter, verhält es sich nun mit “Mitleid, Vergnügen, Lachen”. Das Vergnügen läge zwischen Mitleid und Lachen.

Es gibt dem Namen nach noch weitere Briefe Lessings, und zwar Briefe, die neueste Literatur betreffend, die poetologisches Wissen um Lessings Theaterkonzeption beinhalten. In diesem Fall ziehen wir den 17. Brief heran, und weisen darauf hin, dass das Etikett einen in die Irre führt. Es handelt sich bei diesen Briefen nämlich um eine Sammlung von Kritiken zur zeitgenössischen Literatur. Es ist dies ein Gemeinschaftsprodukt von Lessing, Nicolai und Moses Mendelssohn. In dem nun vorgestellten Brief Siebzehn kriegt Gottsched – salopp formuliert – sein Fett weg.

“Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.”

Bitterböse stößt Lessing vor allem auf, dass Gottsched sich am französischen Drama orientiert, und nicht am englischen, das, wie L. findet, viel besser auf uns Deutsche passt. Lessing argumentiert vor allem mit Shakespeare gegen Corneille.

“Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit größerer tragischer Dichter als Corneille; obgleich dieser die Alten sehr wohl, und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung, und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählet; und der Französe erreicht ihn fast niemals, ober gleich die gebahnten Wege der Alten betritt.” (Hervorhebungen entfernt, AT)

Lessing lobt Shakespeares Stücke, er erhebt sie in einen Rang mit denen eines Sophokles.

Hamburgische Dramaturgie

Lessings Hamburgische Dramaturgie ist eine Sammlung von Theaterkritiken, 52 an der Zahl. In ihnen hat Lessing die zusammenhängendste Beschreibung seiner Dramentheorie niedergeschrieben. Exemplarisch sollen die thematischen Schwerpunkte anhand einiger Exempel herausgestellt werden.

Im 46. Stück beginnt Lessing damit, die Dramen der Alten mit denen der zeitgenössischen französischen zu vergleichen. Er tut dies in einem ganz bestimmten Punkt. L. kommt auf die, fälschlicherweise so benannte, Lehre von den drei Einheiten zu sprechen. Den Franzosen wirft er vor, sie hätten blind irgendwelche Regeln verfolgt, ohne zu verstehen, worum es dabei ginge. Für Lessing steht fest, dass die Einheit der Handlung den beiden anderen zugrunde liegt. Die Franzmänner hätten dies falsch interpretiert, weil sie sich die historischen Gegebenheiten nicht näher angesehen hätten. Es ergibt sich für L. nämlich, dass eine Aufführung an Ort und Zeit gebunden sein musste, wegen Teilen der Zuschauer, die als Chor fungierten. Man muss sich eine Menschenmenge vorstellen, die in einem Kreis zu stehen kommt, oder auch nur in einem halben. Zuschauer und Mimen sind – vielleicht bis auf die Kostüme – nicht voneinander zu unterscheiden. Es gibt keine Bühne von oben herab, wie sie schon Brecht in der Neuzeit kritisierte. Der Ursprung der Tragödie liegt in einem Singspiel, in dem die meisten Beteiligten involviert sind, in seiner Art und Weise eher mit einem Karnevalsumzug vergleichbar als mit einem herkömmlichen Theater, in dem Zuschauerraum und Bühne streng voneinander getrennt sind. Man musste sich kurz halten, wollte man die Zuschauer dauerhaft auf seine Seite ziehen. Neugierige und Schaulustige wollen unmittelbar wissen, was vor sich geht, und nicht erst nach etlichen Stunden das Gefühl entwickeln, verstanden zu haben, worum es eigentlich ging. Da der Chor aus dem Volk rekrutiert wurde, konnte man nicht beliebig den Schauplatz verändern, sondern musste sich nach den Möglichkeiten der Beteiligten richten.

Die französischen Tragödienschreiber hingegen betrachteten die Einheit der Zeit und des Ortes gewissermaßen als Voraussetzungen für die Handlung, sie kehrten also den Spieß um, zumindest, wenn man Lessing Glauben schenken mag.

Ständeklausel adé

Im 14. Stück seiner Hamburgischen Dramaturgie kommt Lessing auf das Bürgerliche Trauerspiel zu schreiben. Für ihn ist sehr eindeutig, dass nicht Titel oder Namen von Fürsten und Helden den Pathos in eine Tragödie bringen – es sind die Menschen und ihre Schicksale, frei von Stand.

“Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen […]”.

Man spricht in diesem Kontext auch von der Aufhebung der Ständeklausel. Denn es ist die Zeit der Aufklärung, es sind ihre Autoren, die dazu beitragen, dass auch der gemeine Mann die Figur in einer Tragödie abgeben darf.

Und wiederum sind es die Franzosen, die von Lessing kritisiert werden. Ihre Nation sei zu eitel und in Adelstitel und äußerliche Vorzüge verliebt.

“[B]is auf den gemeinsten Mann will alles mit Vornehmern umgehen; und Gesellschaft mit seinesgleichen ist so viel als schlechte Gesellschaft.”

3 replies on “Eine runde Sache”

Dass Lessing mit seiner Kritik an Gottsched offensichtlich nicht allein dastand, zeigt folgendes Zitat aus Der Geschichte der deutschen Literatur von Robertson und Purdie: “Der 1700 in Juditten bei Königsberg geborene Johann Christoph Gottsched ist eine der tragischen Gestalten der deutschen Literatur, ein Autor, dessen Ambitionen größer waren als seine Fähigkeit, sie zu verwirklichen.”

Ein sehr schöner Text! Ich hätte nur folgende Anmerkungen:
“Dieser wollte offensichtlich den Zweck des Trauerspiels in einer Besserung (Läuterung) des Zuschauer erkennen,”
Sollte damit Nicolai gemeint sein, so ist das glaube ich falsch. Den Widerspruch Lessing regte nicht die Entfernung Nicolais von Aristoteles hinsichtlich der Art der Wirkung der Tragödie (also der Auslegung des Katharsisbegriffes). Nicolai war nämlich der erste, der für die Tragödie gar keine “Katharsis” gleich welcher Art fest machen wollte. Für Nicolai war die Erregung von Affekten (Emotionen) ohne weiteres Ziel schon Selbstzweck der Tragödie!
MfGS. Goldt

Ich werde den Gedanken rekapitulieren. Danke für den Hinweis. Ende Februar steht immerhin noch eine Klausur an, in der auch Lessing Thema sein wird. Es freut mich, wenn Leute aktiv an den Beiträgen teilhaben.

Lieben Gruß zurück.

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