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Nationalökonomie und Philosophie

Begeben wir uns wieder in ein weiteres Kapitel von Iring Fetschers Marx. Die Überschrift dieses Eintrags ist gleichsam die Überschrift des 5ten Kapitels in Fetschers Buch, und ebenso der Titel eines Marxschen Manuskripts, “das erst 1932 aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde” (S. 48). Der Wert dieses Manuskripts wird unterschiedlich empfunden. Manche bewerten es als unausgegorenes Frühwerk Marx’ und wieder andere finden darin eine Menge interessanter Ideen wieder (vgl. ebd.). Es ist Mitte der 1840er Jahre, als Marx dieses Manuskript unter dem Einfluss seiner Erkenntnisse der “klassische[n] ökonomische[n] Theorie von [z. B.] Adam Smith, David Ricardo und Jean-Baptiste Say” (S. 48f.) verfasst.

Dieses Thema knüpft auch an die vorhergehenden an. Marx schließt sich den Thesen der Nationalökonomen in vielerlei Punkten an und vermittelt die Position, dass Arbeit entfremdend wirkt. Jedenfalls in einer Gesellschaftsordnung, wie sie zur damaligen Zeit geherrscht hat. “Die Ökonomen nehmen allerdings Kapital, Arbeit, […] als ‘gegebene’ Begriffe hin” (S. 49). Mit gegeben ist an dieser Stelle auch gemeint, dass diese Begriffe einen gewissen normativen Charakter verkörpern. Marx wird seine Annahmen auch auf der Grundlage dessen formulieren, dass er diese Begriffe für veränderlich hält. Darin unterscheidet er sich grundlegend von den Positionen vieler Nationalökonomen. Wir haben bereits in vorhergehenden Beiträgen über Fetschers Buch angedeutet, dass Marx z. B. die politische gesellschaftliche Dimension auf eine gewisse Weise als entfremdend betrachtet. Den Begriff der Arbeit sieht Marx nicht grundlegend anders.

“Für Marx stellt die Arbeit zwar auch die vermenschlichende, kulturschaffende Tätigkeit dar, sie ist aber […] in mehrfacher Hinsicht entfremdet” (S. 50, Herv. entf.). Bei Fetscher wird Marx dann so zitiert, dass diese durch Arbeit bedingte Entfremdung die “Verwirklichung des Menschen” (ebd.) verhindert. Man könnte auch – wie wir bereits in den vorherigen Artikeln erfahren haben – sagen, dass die damalige Definition von Arbeit, wie sie gleich noch referiert werden soll, der menschlichen Emanzipation im Weg steht. Marx referiert in seinem Manuskript 4 Aspekte des Entfremdungsprozesses durch Arbeit. Zum einen entsteht bei der Arbeit ein Produkt, das veräußert wird, vergegenständlicht wird und damit irgendwann auch dem Menschen gegenüber fremd wird und im Umkehrschluss sogar Einflussmöglichkeiten auf den Menschen bekommt (vgl. S. 50f.). Wir dürfen dies nicht als Marx’ Meinung missinterpretieren, sondern müssen dies als seine Analyse der damaligen, bestehenden Verhältnisse auffassen. Marx selbst sieht nicht nur das industriell gefertigte Produkt, sieht aber in diesen mannifesten Entitäten eines Produktionszyklus die Ursache des Übels. Geistige und spirituelle Produkte sind für ihn nicht maßgeblich bei seiner Argumentation. Mit dem Produkt gibt der Arbeiter etwas von sich Preis, dass er nicht unmittelbar auf diese Weise ersetzt kriegt, zumal er es in einem kapitalistischen System nicht zum Wohle aller, sondern nur zu Gunsten der Eigentümer produziert. Arbeit wird so langfristig zu etwas, dass eher als Mittel zur Existenzerhaltung betrachtet wird, als zur Selbstverwirklichung.

Der Arbeiter begibt sich durch die Veräußerung in eine doppelte Abhängigkeit. Zum einen ist er darauf angewiesen, dass man ihm Arbeit gibt, zum anderen muss er sich in dem bestehenden System in Form seiner Produkte (Arbeitskraft) veräußern um seine Existenz zu sichern. Doch “[m]it immer komplizierteren Maschinen [die der Arbeiter vielleicht selbst produziert hat] und immer weitergehender Arbeitsteilung wird die Arbeit des einzelnen Arbeiters immer einfacher und – da auch Ungelernte, ja Kinder und Frauen seine Arbeit übernehmen können – sein Lohn immer niedriger” (S. 51). Die Tatsache, dass die zunehmende Arbeitsteilung auch dazu führt, dass sich der Arbeiter mit immer weniger komplexen Arbeiten auseinandersetzt führt – sehr überzeichnet – nach Marx zur Verdummung (vgl. ebd.). Als Instrument dem entgegenzusteuern fordert z. B. Adam Smith “einen elementaren Unterricht der armen Bevölkerungsmehrheit” (ebd.). Marx selbst akzeptiert die Fakten, sieht aber, wie bereits erwähnt wurde, den status quo nicht als unverrückbar an. Für ihn gilt es, die Entmenschlichung (Entfremdung) zu überwinden. Ein 2ter Aspekt, den Marx im Entfremdungsprozess der Arbeit nennt, ist der, dass über das Fremdwerden des Produkts mittelbar auch der Prozess der Arbeit irgendwann als fremd empfunden wird (vgl. S. 51f.). Hier kommt etwas zu tragen, was man aus heutiger Sicht in der damaligen Gesellschaft als “Trennung von Wohnung und Arbeitsstätte” (S. 52) charakterisiert. Fetscher zitiert Marx mit den Worten: “Seine Arbeit [= die des Arbeiters] ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen. Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen” (ebd., Herv. entf.). Ein 3ter Aspekt lautet, dass der Mensch, wenn er sich vom Prozess der Arbeit entfremdet, gleichzeitig von seiner Gattung entfernt. Nach Marx ist nämlich die (bewusste) Arbeit dasjenige Element, was den Menschen vom Tier unterscheidet (vgl. S. 52f.). Schließlich entfremdet der Mensch sich – und dies ist der 4te Aspekt, den Marx vorbringt – in der Entfremdung von seiner gattungszugehörigen Wesenhaftigkeit auch von seinen Mitmenschen (vgl. S. 53).

In der Veräußerung des Produkts begründet der Mensch nach Marx das Privateigentum. Dies scheint zunächst verwirrend, Marx wird dann aber von Fetscher mit den Worten, “[W]ie auch die Götter ursprünglich nicht die Ursache, sondern die Wirkung der menschlichen Verstandesverwirrung sind. Später schlägt dies Verhältnis in Wechselwirkung um” (ebd., Herv. entf.), zitiert. Wir erinnern uns auch hier, bereits in einem der zurückliegenden Beiträge darüber referiert zu haben, dass Marx z. B. Religion nur als Produkt des Menschen betrachtet, der sich eine Welt geschaffen hat, die noch derart mit Mängeln behaftet ist, dass ihm etwas zu fehlen scheint. In diesem Punkt weist er mit dem Wort Verstandesverwirrung dezent darauf hin.

Es geht dann im Folgenden um Möglichkeiten der Überwindung des Gegensatzes von Arbeit und Kapital. Die bloße Erhöhung der Löhne stellt nach Marx “nur eine bessere Salarierung [Bezahlung] der Sklaven [dar] und hätte weder dem Arbeiter noch der Arbeit ihre menschliche Bestimmung und Würde erobert” (S. 54, Herv. entf.). Anscheinend knüpft Marx an Arbeiten von Fourier an, der exemplarisch die Landarbeit, als ausgezeichnete Arbeit beschrieben hat. Marx erkennt, “daß es Fourier darum geht, den abstoßenden Charakter der Arbeit durch eine […] entsprechende Verteilung der Arbeit und einen häufigen Wechsel unterschiedlicher Betätigungen zu überwinden, also aus abstoßender Arbeit ‘attraktive Arbeit’ zu machen” (ebd.). Marx referiert in seinem Manuskript dann noch einige Vorstellungen von Kommunismus, und wie diese zur Überwindung des Gegensatzes von Arbeit und Privateigentum von Nutzen sein könnten. Den rohen Kommunismus lehnt er ab, da dieser die Dinge nur ins Gegenteil verkehrt und unter dem Deckmantel des sozialistischen Prinzips auf andere Weise zu Entfremdung führen würde (vgl. ebd.). Das, was man dann heutzutage getrost auch als Marxismus oder marxistischen Kommunismus bezeichnen kann, wenn man sich an die Vorgaben Marx’ hält, dient eben der Überwindung dieser Dichotomie. Marx stellt sich vor, dass der einzelne Mensch “dann nicht mehr von seinem ‘Gattungsleben’ […] isoliert und erfährt sich als ‘gesellschaftliches Wesen’, als ‘zoon politikon’ im Sinne Aristoteles, nicht als egoistische Monade der Konkurrenzgesellschaft” (S. 55, Herv. entf.). Bei all der Kritik an dem Bestehenden, wertschätzt Marx jedoch auch die Dynamik der kapitalistischen Prozesse, vor allem im Bezug der “Vermenschlichung der Natur durch die Arbeit” (S. 57). Fetscher erläutert dies auf eine Weise, die – metaphorisch formuliert – zusammengefasst werden kann mit den Worten, dass sich der Mensch die Erde untertan macht (vgl. S. 57).

In einem Manuskript, in dem es um Ökonomie geht, darf natürlich der Begriff des Geldes nicht fehlen. Marx bezeichnet das Geld als Mittel, durch das “alle personalen Beziehungen […] vermittelt und verfälscht” (S. 58) werden. Er führt Beispiele an, die ich jedoch nicht anführe, da jeder sich nur vorzustellen braucht, wie man mittels Geld auch Prestige und andere gesellschaftlich relevante Werte erwerben kann und somit die Bedingungen personaler Beziehung auf dieser, durch das Geld vermittelten Metaebene, manipulieren kann (vgl. ebd.). “Ganz anders sehen die Beziehungen in der idealen sozialistischen Gesellschaft aus, von der Marx hier spricht” (ebd.). Denn in dieser Gesellschaftsform möchte Marx – negativ formuliert – Gleiches mit Gleichem vergelten. Es soll also Liebe für Liebe eingetauscht werden, oder Wissen für Wissen und “wenn du Einfluß auf andre Menschen ausüben willst, mußt du ein wirklich anregend und fördernd auf andre Menschen wirkender Mensch sein” (ebd., Herv. entf.). Dort sagt Marx auch, dass, wenn jemand etwas investiert er nicht damit rechnen muss, dass eine gleichartige Reaktion zur Pflicht würde. Wieder das Beispiel der Liebe. “[W]enn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch eine Lebensäußerung als liebender Mensch dich nicht zum Geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück” (ebd., Herv. entf.). Fetscher gibt zum Abschluss dieses Kapitels folgerichtig an, dass Marx die Menschen in dem Unglück alleine lässt und dieses selbst in einer idealen Gesellschaft nach Marx nicht verschwinden würde (vgl. ebd.). Mehr bleibt mir an dieser Stelle auch nicht zu schreiben. Wieder der bibliographische Hinweis, ansonsten viel Spaß beim Vermehren der gewonnenen Einsichten.

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