Die Lektüre von Grass’ Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus ist Geschichte, Vergangenheit. Was nachschwingt sind ein paar Erinnerungen an die Vergangenheit, ob der immer wieder von Grass skizzierten Geschehnisse kurz vor Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Ein Nachruf auf Nicolas Born, dessen Namen ich in diesem Buch zum ersten Mal begegnete. Eine ständig mitschwingende politische Botschaft gegen Franz Josef Strauss und für die SPD. Vieles von dem stellte sich für mich als Nebenkriegsschauplatz dar und ergibt am Ende doch nur zusammen genommen einen Sinn. Kopfgeburten ist, neben der Nuance wehleidiger Andacht für den literarischen Freund Grass’, Born, ein Versuch der Gesellschafts- und Ideologiekritik. Immer wieder scheitern Grass eigene Vorstellungen an den von ihm kopfgeborenen Figuren Dörte und Harm Peters, die sich ein wenig von seiner Linie entfernen.
Auf diesen Sachverhalt wird auch oft genug hingewiesen. Eine generelle Empfehlung für dieses Buch würde ich nicht abgeben, höchstens für diejenigen, denen ein Einblick in die Zeit vor Beginn der 80er Jahre wichtig erscheint, den sie über eine Position von vielen zu erhaschen hoffen. Was bleibt sind ein paar Fragen, einige der zentralen Fragen, die auch Grass thematisiert und die bis heute noch nicht gelöst scheinen. Zwar sind wir, wie Grass damals die Forderung postuliert und sich wünschte, mit dem anderen Drittel Deutschlands wieder vereinigt, doch werden wir wohl kaum behaupten können, es hätte sich seither etwas an der Geburtenziffer getan. Der Konflikt zwischen West und Ost ist abgeflaut, die linken und rechten Kräfte im Land haben den Zenit ihrer Aufplusterung verpasst, ihnen wurde die Luft geraubt. Derzeit sieht es so aus, als würden sich beide Lager Luft zu fächern, um eine neuerliche Identität anzunehmen. Grass’ sicherlich interessantester Gedanke, mit dem er versuchte die damalige Situation von den Füßen auf den Kopf zu stellen, war die verkehrte, in der Bevölkerungszahl chinesische Ausmaße annehmend, deutsche Welt. Wer gerne wissen möchte, was Grass für Gespenster entwickelt, die angesichts einer Bundesdeutschen Republik mit 1er Milliarde Einwohner nicht ohne Herumspuken auskommen, der sollte das Buch lesen, oder sich selbst die Frage stellen und seine eigenen Antworten finden.
Mein Exemplar war außergewöhnlich mit Fehlern bespickt, ungewöhnlich für die damalige Zeit, erst Recht für den Verlag.
Grass, Günter 1982: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus. - Darmstadt u. Neuwied: Luchterhand (=Sammlung Luchterhand 356)