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Marx’ Weg in die Freiheit und die Flucht vor Preußen – Philosophie und Realität

Fahren wir nach einer Weile fort mit dem subjektiven Resümieren der mir wichtigsten Gedanken aus Iring Fetschers Buch Marx. Im Folgenden befasse ich mich mit dem 4ten Kapitel in Fetschers Buch, Der Weg in die Freiheit. Paris. “Die Deutsch-Französischen Jahrbücher”, ist es übertitelt. Wir erfahren an dieser Stelle zunächst, dass Marx sich nach dem Verbot der Rheinischen Zeitung, in der Zeit von “Oktober 1843 bis Februar 1845” (S. 31), in Paris aufhält.

Zuvor heiratete er, nach dem Tod ihres Vaters, seine Jessy von Westphalen. “Eine lebenslange emotionale und intellektuelle Gemeinschaft zwischen dem revolutionären Denker und der engagierten Anhängerin der politischen Auffassungen ihres Mannes beginnt” (ebd.). Doch auch aus Frankreich wird – auf außenpolitischen Druck Preußens hin – Marx Anfang 1845 des Landes verwiesen. “Von Februar 1845 bis März 1848 kann Marx in Brüssel bleiben” (S. 32) und kehrt erst im April 1848 wieder “nach Deutschland zurück, um die Revolution publizistisch mit der ‘Neuen Rheinischen Zeitung’ zu unterstützen” (ebd.). Wir erfahren von Fetscher im Folgenden, welche Ideen und Gedanken Marx bis 1848 in schriftlicher Form zu Papier bringt. Die erste größere Arbeit Marx’ stellt sich in Form eines Briefwechsels dar, der in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern veröffentlicht wird (vgl. ebd.). Fetscher referiert den Inhalt dreier Briefe Marx’. “Im ersten Brief schreibt Marx von Holland aus, wie sehr er sich angesichts dieses freiheitlichen Volkes [der Holländer, A.T.] als Deutscher schämt” (ebd.). Marx ist generell der Meinung, dass die deutsche Gesellschaft zur Mitte des 19ten Jahrhunderts gegenüber vielen anderen westlichen Gesellschaften rückständig ist. “In seinem zweiten Brief geht es Marx um die Erweckung des Freiheitsgefühls der Deutschen” (ebd.), und schließlich fordert er in seinem dritten Brief die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden. Dieser Begriff wirkt zunächst recht abstrakt. Marx schwebt hier allerdings die Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsform vor. Das sozialistische Prinzip ist jedoch “nur die eine Seite, welche die Realität des wahren menschlichen Wesens betrifft” (S. 33, Herv. entf.).

Marx deutet hier bereits an, dass er eine menschliche Emanzipation für notwendig erachtet – vor Augen führen will Marx der Gesellschaft, “warum sie eigentlich kämpft” (S. 34), darüber hinaus aber nicht weiter eingreifen. Es folgt die Auseinandersetzung Fetschers mit der Schrift Marx’ Zur Judenfrage, “eine[r] Arbeit, die zu vielen Mißdeutungen geführt hat” (ebd.), besonders im zweiten Teil dieser Schrift. Doch zunächst wird im ersten Teil der gesellschaftliche Prozess erläutert, der in diesem Fall zwar auf die Juden bezogen wurde, gleichwohl aber auch auf die Christen in der deutschen Gesellschaft und damit einem Gros der deutschen Gesamtgesellschaft des 19ten Jahrhunderts, bezogen werden durfte (vgl. S. 35). Marx erläutert in dieser Schrift den notwendigen Prozess der politischen Emanzipation, über den jedoch die menschliche Emanzipation hinausführen müsse (vgl. S. 35f.). Unter politischer Emanzipation will Marx die zur damaligen Zeit voranschreitende Demokratisierung der westlichen Gesellschaften verstanden wissen. Sie sei ein Fortschritt, aber nicht der letzte Schritt, der getan werden müsse (vgl. S. 36). Der Prozess der Demokratisierung führt für Marx, analog zum Verständnis des Prozesses durch Hegel, zur Entfremdung. Was genau ist damit gemeint? Marx nimmt an, dass sich zur normalen Dimension einer stratifizierten (in Deutschland noch dazu feudalen) Gesellschaft, in der sich die Mitglieder der Schichten durch das Prinzip der Konkurrenz voneinander zu unterscheiden suchen, eine zweite Dimension des politischen Gemeinwesens tritt, in der sich alle daran partizipierenden Individuen, über die Gemeinsamkeit ein Staatsbürger zu sein, identifizieren. Er erkennt darin einen Unterschied, den die gesellschaftlichen Akteure erkennen müssen, um darin übereinzustimmen. Dass das jedoch unmöglich scheint, liegt für Marx daran, dass die Menschen sich, wegen der Unvollkommenheit der Gesellschaft(sform), “notwendig in religiöse Hoffnungen und Jenseitsträume” (S. 37) flüchten. Den Grund für die damalige Gesellschaftsform wähnt Marx “in den egoistischen Menschen” (ebd., Herv. entf.). Er fordert, wie bereits erwähnt, ein radikales Umdenken, eine rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, darin schließt er die politischen, religiösen oder wissenschaftlichen Systeme mit ein. Erst wenn sich das egoistische Individuum in den Dienst der Gesellschaft stellt und jeder in der Gesellschaft sich selbst nur darin verstanden fühlt, “wäre die menschliche Emanzipation [im Sinne Marx’] vollbracht” (ebd.).

Dass der zweite Teil seiner Schrift zu Missdeutungen geführt hat, wurde bereits erwähnt, es soll hier dennoch nicht weiter darauf eingegangen werden, da sich die Gedanken insgesamt zu weit von der Zielrichtung der bereits eingenommenen Thematik entfernt. Mit einem Teil der eben erwähnten Gedanken habe ich schon in die Thematik des “zweiten großen Beitrag[s] zu den ‘Deutsch-Französischen Jahrbüchern'” (S. 39) eingeführt. Marx setzt sich in diesem Beitrag mit der Hegelschen Rechtsphilosophie auseinander. “Doch die Religionskritik ist nur die Einleitung. Entscheidend ist die Aufgabe, die Gesellschaft […] so zu verändern, daß Elend und Not verschwinden und damit die Religion überflüssig wird. Es geht um die Umgestaltung der sozialen Verhältnisse Deutschlands” (S. 40). Diese seien jedoch unter dem Niveau vieler anderer westlicher Gesellschaften anzusiedeln (vgl. ebd.). Hegels Rechtsphilosophie beschreibe die Verhältnisse außerhalb Deutschlands. Die dort vorgenommene Kritik müsste die Gesellschaft aufnehmen und weiterdenken und zusätzlich die eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse diskutieren, um am Ende “das rückständige Deutschland nicht nur auf das Niveau der modernen Staaten des Westens” anzuheben, “sondern diese sogar noch” (S. 41) zu überflügeln. Ein derart radikales revolutionäres Bewusstsein verortet Marx im Proletariat, das sich seiner Auffassung nach genügend weit von den gesellschaftlichen Verhältnissen distanziert, um nicht in den Einflussbereich der normalen gesellschaftlichen Verhältnisse zu geraten, deren Umwälzung Marx ja schließlich anstrebt. An dieser Stelle kann durchaus die Frage diskutiert werden, ob Marx das Potential dieser Schicht nicht zu sehr überschätzte. Der nächste Punkt, an den Fetscher anknüpft, ist eine Artikelserie Marx’, die im Sommer 1844 im Pariser Vorwärts erscheint und “die Unfähigkeit des Staates” diskutiert, “mit der ‘hergestellten Armut’ in der Gesellschaft fertigzuwerden” (S. 44). Marx erläutert darin u. a. einige europäische Positionen zu der aufkommenden vorindustriellen Massenarmut, dem so genannten Pauperismus. Die in den Artikeln geschilderten Versuche, “die Armut in der modernen Gesellschaft zu überwinden, [seien] notwendig zum Scheitern verurteilt, weil ‘der politische Verstand innerhalb der Schranken der Politik denkt'” (S. 46). Es finden sich hier bereits Formulierungen, die eine klassenlose Zukunftsgesellschaft fordern.

Fetscher, Iring, 1999: Marx. Originalausgabe, Freiburg u. a.: Herder

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