Nachdem wir bereits erfahren haben, dass der Computer unser Verhältnis zur Realität beeinflusst, wollen wir erörtern, wie der umfassende Computer nach Martin Seel dies tut.
Unerhörtes
Seel nennt ihn den integrierten Computer und den umfassenden Computer. Schon an diesen Bezeichnungen kann man ablesen, dass ein verändertes Verhältnis der medialen Situation zur Realität vorliegt. Wir werden mit einem Internet-Rechner in die Lage versetzt, Ort und Zeit zu manipulieren, können überall und nirgends sein. Zwar hatten wir, so Seel, die Aufhebung von Ort- und Zeitgrenzen schon mit anderen Medien erreicht, jedoch nie in einer solchen Qualität. Das Wesen des Mediums weist eine Unschärfe aus. Der Nutzer, und sei er noch so versiert, ist nicht mehr in der Lage eine Situation vollständig zu erschließen. Wo genau kommen die Daten her, auf die man gerade zugreift. Sind sie fingiert? Finden sie an echten Schauplätzen statt?
Reichweite spielt in zwei Aspekten eine Rolle. Wir überbrücken Zeit und Raum, aber gleichzeitig erreichen wir auch unheimlich viel mehr Rezipienten als über die bisherigen Telemedien. Doch die medialen Erfahrungen haben eine andere Qualität. Denn die “Situation der Erfahrung” ist laut Seel nicht länger deckungsgleich mit der “erfahrenen Situation” (vgl. S. 259).
Neue Medien und Realität
Außerdem verliert, so Seel, die reale Situation immer “mehr an Gewicht gegenüber der virtuellen medialen Situation.” Weil dies so ist, bekommt die Realität, bzw. das, was wir als Realität annehmen, eine andere Funktion als noch davor. Uns ist Realität nicht länger als Gegenspieler, “sondern allein noch als Produkt medialer Weltgewinnung denkbar.” Das sind Annahmen, denen man zwar zustimmen kann, aber nicht muss.
Seel dachte nicht, dass der umfassende Computer so weit ins Zentrum der medialen Interaktion rücken könnte, dass “die Differenz zwischen Wahrnehmungssituation und wahrgenommener Situation” (S. 262) eines Tages verwischt. Ich bin an dieser Stelle anderer Meinung.
Gerade aber der Charakter der Simulation – der Computer ist ein Bild-Medium -, lässt für Seel dauerhaft eine Unüberbrückbarkeit “zwischen leiblich erschlossener und digital eröffneter Wirklichkeit” (S. 263) untilgbar sein.
Der nächste Teil der Reihe wird das Handwerkszeug an Begriffen vorstellen, mit dem die allermeisten der Einzelmedien-Untersuchungen hantieren. Das ist vor allem die Trias “Medium” im Unterschied zur “Kommunikationsform” im Unterschied zur “kommunikativen Gattung”. Die Differenzierung stammt aus einem Text Christa Dürscheids aus 2005, den man online einsehen kann.