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Dekomposition – Teil 2

Wir kommen nun im zweiten Teil zu einem sehr essenziellen Unterkapitel, 7.3 Semantische Merkmale, in dem Löbner zu Beginn binäre semantische Merkmale einführt (7.3.1) und dann auf die theoretischen Hintergründe der binären Merkmalsemantik (BMS) zu schreiben kommt.

Löbner beginnt zunächst mit einer kurzen geschichtlichen Verortung der binären semantischen Merkmale. Diese sind in den Bereich des strukturalistischen Paradigmas der Prage Schule aus den Jahren 1920 und 1930 einzuordnen. Die Anhänger der Prager Schule entwickelten zuerst für den Bereich der Phonologie eine Theorie, die die Unterscheidung von Phonemen anhand von so genannten distinktiven, d. h. unterscheidenden Merkmalen, erlaubte (vgl. S. 201).

Die phonologische Analyse anhand distinktiver Merkmale war sehr erfolgreich. Aus diesem Grund wurde versucht, die Möglichkeit der Differenzierung anhand von Merkmalen auch auf andere Bereiche der Linguistik auszuweiten. So gibt es verschiedene Ansätze, wie Löbner angibt, die alle unter der Bezeichnung Merkmalsemantik firmieren (vgl. ebd.). Wie sieht nun so ein Merkmal aus? Oder was für Eigenschaften muss es haben, damit es für eine merkmalsemantische Analyse herhalten kann? Merkmale können derart notiert werden, dass [WEIBLICH] bedeutet, einem Lexem würde das Merkmal weiblich zugewiesen oder nicht. Die Zuweisung erfolgt mittels eines Vorzeichens + oder -. Aus diesem Grund wird hier von binär gesprochen, da die binäre Codierung eben derart funktioniert, dass etwas entweder zutrifft oder nicht, 0 ist oder 1, Ja oder Nein. Entsprechend werden Merkmale tabellarisch festgehalten oder verkürzt in Form einer Merkmalmatrix, in der lediglich die binäre Codierung +/- ausgegeben wird, für jeweils Merkmalhaftigkeit oder Merkmallosigkeit (vgl. S. 202). Löbner weist darauf hin, dass ein binäres Merkmal einem nur einstelligen Prädikat über einen potenziellen Referenten des zugehörigen Lexems entspricht (vgl. S. 203). Demnach werden in der Merkmalsemantik

“Wortbedeutungen also als Kombination einstelliger Prädikationen aufgefasst” (ebd.).

In den nächsten beiden Unterkapiteln wird die Anwendung des Merkmalprinzips auf paradigmatische sowie kombinatorische Bedeutungsbeziehungen geschildert und überprüft. Im ersten Fall zeigen sich teilweise Einschränkungen, im zweiten Fall stellt sich z. B. heraus, dass mit der Angabe von Merkmalen keine Bedingungen an Argumente von Verben formuliert werden können (vgl. S. 204). Die weiter oben formulierte Frage, welche Eigenschaften semantische Merkmale im theoretischen Rahmen der Merkmalsemantik aufweisen müssen beantwortet Löbner in Kapitel 7.3.4 Wichtige Eigenschaften semantischer Merkmale explizit. Gleichzeitig zeigt sich in der Beschreibung der Anforderungen an semantische Merkmale erneut ein Problem dieser Methodik. Während sie für einzelne oder wenige Lexeme noch handhabbar ist, stößt sie bei der Analyse größerer Taxonomien von Lexemen auf unüberwindbar scheinende Schwierigkeiten, wenn man die Liste der Merkmale nicht ins Unendliche ausufern lassen wollte (vgl. S. 204f.). Das jedoch widerspricht der Forderung nach elementaren Merkmalen (vgl. S. 206). Elementar sind Merkmale, die nicht weiter in Einzelteile zerlegbar sind. Außerdem sollen Merkmale generell formuliert sein, um möglichst viele Informationen zu bieten. Denn, je spezifischer ein Merkmal ausfällt, desto weniger Informationen zur Differenzierung bietet es im Grunde (vgl. ebd.).

Als dritte Eigenschaft formuliert Löbner in Kapitel 7.3.5 die sprachliche Motiviertheit von Merkmalen. Es geht hierbei darum, Bedeutungs- und Weltwissen auseinander zu halten (vgl. ebd.).

“Von den anzustrebenden Eigenschaften semantischer Merkmale […] ist die sprachliche Motiviertheit die wichtigste. Im Gegensatz zu den anderen drei Eigenschaften ist sie unverzichtbar, denn sie allein garantiert, dass die gewonnenen Merkmale tatsächlich semantische Merkmale sind und nicht Bausteine allgemeinen Weltwissens” (S. 208).

Wenn Löbner hier von 3 weiteren Eigenschaften spricht, dann hat er entweder seinen Text nicht konsistent produziert weil eine weitere Eigenschaft erst weitaus später diskutiert wird, oder aber, er hat an dieser Stelle nur 2 weitere Eigenschaften gemeint, diejenigen, die bereits vorgestellt wurden, nämlich elementar und generell zu sein. Was genau es mit sprachlicher Motiviertheit und Bedeutungswissen zu tun hat, kann der geneigte Leser auf den Seiten 206 bis 209 selbst nachlesen, darauf möchte ich im Einzelnen nicht explizit eingehen. Ein erstes Fazit Löbners lautet:

“Inzwischen besteht weitgehend Konsens darüber, dass eine Analyse in Merkmale, die gleichzeitig elementar, generell und sprachlich motiviert sind (sic!), wohl nicht möglich ist” (S. 209).

Derartige, nach den bereits genannten 3 Eigenschaften klassifizierte, Merkmale werden Marker genannt. Überdies gibt es noch Seme und Distinguisher (vgl. S. 210). In Kapitel 7.3.7 nimmt Löbner eine kritische Bewertung der BMS vor. Die Leistungsfähigkeit der BMS sei begrenzt wegen

“der Beschränkung auf eine einzige Art von Bedeutungskomponenten, eben binäre Merkmale” (S. 211).

Wie bereits angemerkt, entspricht ein binäres Merkmal einem einstelligen Prädikat. Aus diesem Grund lassen sich mit der BMS keine mehrstelligen Prädikatausdrücke darstellen. Ebenso ist eine vollständige Zerlegung von Lexemen in alle ihre Merkmale fraglich (vgl. ebd.). Insgesamt lassen sich auch nur wenige Bedeutungsbeziehungen problemlos damit beschreiben, so z. B. die semantische Komplementarität oder Fälle von Hyponymie (vgl. S. 212). Löbner formuliert abschließend über die binäre Merkmalsemantik:

“Der Ansatz ist eine viel zu simple Theorie, um der Komplexität der semantischen Phänomene im Lexikon gerecht zu werden” (S. 214).

Sehr groß ist also die Kritik und sehr gering ist der Erkenntnisgewinn, den man auf diese Weise erhält.

Löbner, Sebastian, 2003: Semantik. Eine Einführung. - Berlin u. New York: de Gruyter.

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