Ganz so einfach lässt sich an dieser Stelle kein Analogieschluss führen, selbst wenn die Überschrift des zweiten Abschnitts in Müllers zweitem Kapitel Soziale Felder und Kapitalsorten: Gesellschaftliche Ressourcen und ihre Nutzung lautet. Auf jeden Fall wird damit angedeutet, in welche Richtung es in diesem Abschnitt geht. Während zuvor noch die triadische Formel Struktur-Habitus-Praxis erläutert und darüber hinaus das Konzept des sozialen Raums angedeutet wurde, geht es jetzt mit einem etwas genaueren Blick zu schauen, welche Möglichkeiten des Austausches von Kapital vorhanden sind und welche Strukturen dahinter stehen. Müller nimmt aus diesem Grund Bezug auf den Bourdieuschen Feldbegriff. Er verkürzt jedoch in seiner Interpretation soziale Felder auf Gebilde, die entlang der horizontalen Achse im sozialen Raum aufgespannt seien (vgl. S. 165). Er vereinfacht die Darstellung, was ein Feld sei auf das Vorhandensein eines, wie auch immer gearteten, Kapitalmarktes, den zugehörigen Akteuren und deren Interessen und Strategien (vgl. ebd.).
Derart verkürzend, wird man dem Bourdieuschen Feldbegriff in meinen Augen nicht gerecht. Wenngleich dies dem Zwecke Müllers nicht dienlich sein muss, wäre doch ein diesbezüglicher Hinweis in seinem Text an der entsprechenden Stelle meines Erachtens notwendig gewesen.
Müller rückt den Feldbegriff Bourdieus in die Nähe von Max Webers Begriff der (Wert-)Sphären. In einem Punkte jedoch, ginge er mit Weber nicht konform, nämlich, wenn er die generelle Wandelbarkeit von Kapital unterstellt oder zulässt. “Der Akkumulation und Transformation von Ressourcen gilt die analytische Aufmerksamkeit seiner Kapitaltheorie” (ebd.). Bourdieu konzentriert sich also in einer Kapitaltheorie, die wiederum auf Marx Kapitaltheorie fußen soll, wie Müller angibt, um das Aufdecken der Prozesse der Ansammlung von Kapital und der Umwandlung desselben. Während Müller den Feldbegriff etwas oberflächlich behandelte, führt er einige Gedanken zur Kapitaltheorie Bourdieus aus, nennt nicht nur die drei zentralen Kapitalsorten ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital, sondern beschreibt auch jeweils kurz, was man bei Bourdieu darunter zu verstehen habe (vgl. S. 166f.) und wie die Logik dahinter aussieht. Es sei mir verziehn, wenn ich an dieser Stelle auf eine differenziertere Darstellung verzichte, doch habe ich zu oft schon über Bourdieus Kapitaltheorie gelesen und geschrieben, als dass ich nicht darüber im Bilde bin. Der Prozess des Verschriftlichens, speziell wissenschaftlicher Texte, dient mir persönlich auch dazu, mich meines Wissens zu vergewissern. 🙂 Man kann als Laie in diesem Aspekt gerne bei Müller, Vester, Krais, Hörning und wie sie alle heißen, und natürlich auch bei Bourdieu selbst oder z. B. in der im ersten Artikel über diesen Aufsatz erwähnten Einführung von Markus Schwingel über Bourdieus Kapitalkonzept nachlesen, wenn man gerne möchte und Nachholbedarf hat. Natürlich hat Müller einen Grund, warum er auf die verschiedenen Kapitalsorten eingeht. Besonders das kulturelle Kapital steht im Augenmerk Bourdieus, während generell das ökonomische Kapital in der Gesellschaft den anderen Kapitalsorten vorgängig ist. Die Beobachtung des kulturellen Kapitals und dessen Tradierung erlaubt die Besonderheiten moderner Gesellschaften in den Blick zu nehmen. Denn dort ist gerade ein markanter Unterschied zu archaischeren Gesellschaftstypen festzustellen in denen kulturelles Kapital noch nicht institutionalisiert weitergegeben werden musste, sondern die Partizipation am kulturellen Leben über die Sozialisation gesichert war.
Müller, Hans-Peter: Kultur, Geschmack und Distinktion : Grundzüge der Kultursoziologie Pierre Bourdieus. In: Neidhart, Friedhelm; Lepsius, Rainer M.; von Alemann, Heine (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. Opladen : Westdeutscher, 1986, S. 162-190; hier S. 165-169.