Ich will ehrlich sein und zunächst den suggestiven Titel ein wenig seiner Magie entzaubern. Der folgende Artikel beschäftigt sich nämlich nur mit einem Kapitel, genauer gesagt dem 4ten Kapitel, aus Christa Bürgers Buch Mein Weg durch die Literaturwissenschaft.
Das Buch ist Grundlage eines Proseminars III, das ich dieses Semester in der Literaturgeschichte belegt habe und eine Mischung aus Autobiographie und historischem Bericht einer gewollten Außenseiterin der literarischen Sphären, die in ihrem Buch literaturwissenschaftliche, theoretische Anliegen formuliert.
Im Kapitel 4 nun lautet die Überschrift zwar Ideologiekritik, umfasst jedoch inhaltlich lediglich die Auseinandersetzung mit einer Interpretation Bürgers einer Rilke-Elegie. Wir werden von Bürger zunächst noch darauf hingewiesen, dass sie von 1961 bis 1963 mit ihrem späteren Mann Peter Bürger in Frankreich an der Hochschule in Lyon tätig gewesen ist und die Jahre dort ihr und ihm, beiden gleichermaßen, einen Perspektivenwechsel zu den deutschen Verhältnissen der damaligen Zeit ermöglicht haben. “Die Jahre in Lyon, 1961 bis 1963, waren gleichwohl wichtig für uns; der Gewinn, den wir zurückbrachten, war vielleicht nur ein Perspektivenwechsel” (S. 24). Die Ideologie in der Literaturwissenschaft, die damals den Ton angab, so erfahren wir, war die der Textimmanenz, der sich Bürger außerdem bereits im 3ten Kapitel ein wenig genähert hatte. Diese Ideologie war es, “mit der wir [Ch. u. P. Bürger, AT] groß geworden waren und die wir verändern wollten, die Textimmanenz, die immanent gar nicht war, sondern den Text mit Versatzstücken aus Religion, Philosophie, Psychologie umstellte und verstellte” (S. 29). Was wir von Christa Bürger überdies erfahren, sind einige Einzelheiten über ihre “Rilke-Interpretation von 1971.” Sie hatte sich “einen der hochkanonisierten Texte des Autors vorgenommen, die erste der Duineser Elegien” (S. 26). Ihre Herangehensweise – dies löst sich nicht sofort auf – ist die einer grammatischen Analyse im Sinne Noam Chomskys, ganz dem Vorbild der damaligen Sprachwissenschaft folgend. Wenn man ihr Urteil über Rilkes Elegie kurz zusammenfassen wollte, würde man sagen, Rilke mache viel heiße Luft um wenig.Sie behauptet, dass sich über die einfach gestrickten Grundstrukturen in Rilkes Elegie sekundäre Strukturen lagern, “die deren Einfachheit verwischen” (vgl. S. 27). Ihre erkenntnisleitende Frage bei der Interpretation “war die nach der historisch-gesellschaftlichen Funktion der Elegie” (S. 26). Sie führt dann noch an, dass sich bei Rilke Jargonsprache finden ließe, gibt aber keinen weiteren Hinweis mehr auf ihre persönliche Conclusio bezüglich der Funktion der Elegie.
Weiterhin erfahren wir, dass sie der Methodik gegenüber aufgeschlossen war, die den Autor auch als Produzenten sah, und darüber hinaus den Rezipienten ebenso mit einbezog, nämlich die Analyse der verwendeten “Kunstmittel” (vgl. S.29f.). Zum Ende des Kapitels hin, und dies mag ein Grund sein, warum wir nichts über ihre Conclusio erfahren, nimmt Bürger sich selbst in die Kritik. Sie weist uns darauf hin, dass sie zum damaligen Zeitpunkt nur wenige, um nicht zu sagen so gut wie gar keine anderen Texte Rilkes kannte, und sich später, nach der Lektüre einiger Texte Rilkes, ein zum Teil anderes Verständnis seiner Botschaften bei ihr heraus bildete (vgl. S. 30f.).
Bürger, Christa, 2003: Mein Weg durch die Literaturwissenschaft. - Frankfurt am Main: Suhrkamp. (=es 2312), hier Kapitel 4: Ideologiekritik (S. 24-31)